Quasselt ohne Pause: Der innere Kritiker

Seine Stimme ist uns vertraut. Es ist eine innere Stimme, die sehr streng mit uns umgeht. Wir hören sie im Alltag, in der Arbeit, wenn wir uns mit Freunden unterhalten. Wenn wir bewusst darauf achten, merken wir, dass sie eigentlich immer da ist, um unser Verhalten und Denken äußerst kritisch und schonungslos zu kommentieren. 

 

Uns ist inzwischen klar geworden, dass der innere Kritiker in der Kindheit eine überlebenswichtige Funktion innehatte: Er musste uns davon überzeugen, dass nur durch die Anpassung an die Erwartungen und Regeln unserer Umwelt Werte wie Zugehörigkeit und Sicherheit gewährleistet werden kann. Er tat dies, in dem er die Botschaften unserer Bezugspersonen übernahm und sie uns immer wieder – wenn er es als notwendig erachtete – erneut einflüsterte. Dabei ging er mitunter vehement, hartnäckig und schonungslos vor. Seine Aufgabe, uns vor negativen Emotionen wie Angst, Enttäuschung, Schuld und Scham zu schützen, nahm er sehr ernst - und tut dies noch heute:

Als unser „treuer“ Begleiter kommentiert, bewertet, verurteilt er, was wir und andere tun und denken. Er treibt uns an und veranlasst uns, eine bestimmte Haltung einzunehmen, bestimmte Dinge zu tun und andere sein zu lassen. Wenn wir unsicher sind und zweifeln, führt er möglichst plausible Argumente an, damit wir die „richtige“ Entscheidung treffen.

 

Im Grunde ist er unentwegt damit beschäftigt, uns entweder WEG VON unerwünschten, Leid verursachenden Denkweisen, Verhaltensweisen und Einstellungen zu bringen oder uns HIN ZU einer Lebensweise zu führen, die uns Anerkennung, Sicherheit und Glücklichsein verschafft. Er hat also ziemlich viel zu tun mit uns und es scheint, als wäre er nicht so leicht zufrieden zu stellen.

WEG VON – Verhaltensweisen, die Leid verursachen

Um zu vermeiden, dass wir Leid in Form von Ablehnung, Enttäuschung, Scham und Minderwertigkeitsgefühlen erfahren, hat der Kritiker Bewertungsmaßstäbe von „gut“ und „böse“ aufgestellt. Diese Bewertungskriterien gelten für Denk- und Verhaltensweisen, Empfindungen, Gefühle und Einstellungen, durch die wir uns letztendlich definieren. Handeln, verhalten oder empfinden wir anders als diese Kriterien für „gut“ vorgeben, so fühlen wir uns „schlecht“. Dies hat Konsequenzen für unser Selbstbild. Damit dieses Selbstbild möglichst positiv wahrgenommen wird, behalten wir lieber die vom Kritiker akzeptierten Einstellungen und Verhaltensweisen bei, während wir stattdessen alles unterdrücken, was als „schlecht“, „unwürdig“, „seltsam“, „peinlich“, „schwächlich“, „bemitleidenswert“, „unmoralisch“, „egoistisch“ usw. beurteilt wird. Dieser Mechanismus war früher, als wir Kind waren, durchaus wertvoll, doch heute schränkt er unser Verhaltensspektrum und unsere Handlungsmöglichkeiten enorm ein.

HIN ZU – Verhaltensweisen, die Fürsorge und Liebe sichern

Der Kritiker ist zum anderen daran interessiert, für einen idealen Denk- und Verhaltenskodex zu werben, der an unsere Erfahrungen mit den Erwartungen des Umfeldes anknüpft. Somit ist ein Bild von uns selbst entstanden, wie wir sein müssen, um umsorgt, geschätzt, anerkannt und geliebt zu werden. Wir unternehmen alles Mögliche, um diesem Bild näher zu kommen, was einer „Never-Ending-Story“ gleicht, da es von zahlreichen Faktoren bestimmt wird und stetig ergänzt und erweitert wird. In diesem Bild ist definiert, was wir glauben, leisten und können zu müssen, wie wir handeln müssen, wie wir denken und fühlen müssen, welche Moralvorstellungen und Persönlichkeitseigenschaften wir haben müssen, welche Position wir erreichen müssen, wie wir uns kleiden müssen, wie wir wohnen müssen, wie wir aussehen müssen... Der ständige Vergleich mit diesem Idealbild kann nur frustrierend sein! Er führt zum Gefühl der Unzulänglichkeit, des Mangels, der Fehlerhaftigkeit. Hatte dieses Streben nach einem vorgegebenen Ideal als Kind noch die Funktion, uns sicher, geborgen, zufrieden und glücklich zu fühlen, so müssen wir doch heute erkennen, dass durch das Streben nach diesem Idealbild unsere Bedürfnisse – wenn überhaupt –  nur kurzfristig befriedigt werden können. Warum also jagen wir immer noch diesen Phantomen hinterher?

Was sagt uns der Kritiker über uns?

Unser Lebensumfeld, unser Kontext, unser Entwicklungsstand hat sich verändert – wir leben nicht mehr bei unseren Eltern! Also ist es unwahrscheinlich, dass wir mit den alten Verhaltensweisen Werte wie Sicherheit, Zufriedenheit, Anerkennung und Glücklichsein heute noch erreichen können!

 

Also macht es Sinn, darüber nachzudenken, was Sinn macht! Die Stimme des inneren Kritikers hilft uns, wahrzunehmen, wo Einstellungen, Verhaltensweisen und Denkmuster übernommen wurden, die vielleicht nicht mehr zu unserer jetzigen Lebenssituation passen. Diese zu hinterfragen und sie einem Update zu unterziehen, kann die Lebensqualität enorm verbessern...